Ju Sobing: Heimat? Blau ist die Farbe der Erinnerung
Kraszewski-Museum 5.11.-18.2.2017

Heimat???
BLAU -  ist die Farbe der Erinnerung!
Der Untertitel von Ju Sobings neuer Ausstellung hat mich überrascht!

  • hat mich gefreut: Blau ist die Farbe der Erinnerung.-

Das Thema Heimat war ja im Grunde von Anfang an ein ganz zentrales in Ju Sobings Schaffen; in ihrem bildkünstlerischen, wie dem literarischen.
 Mit BLAU kommt nun eine Farbe ins Spiel, die bisher in ihrer Bildwelt kaum eine Rolle spielte:
Sie hat ja versucht, nichts zu verdrängen, sondern nachzuforschen und allgemeingültig zu formulieren: Sie nahm zB Weiss v.a. zum Umhüllen ihrer Trauer oder den brennenden Rot-Schwarz-Kontrast für den Schmerz; und wählte die immer stärkere Reduktion; die Stilisierung auch der Zeichnung schwarz auf weiß - oder weiß auf schwarz fast bis zur gänzlichen Tilgung für das Verblassen von erinnerten Details.

Nun aber, in diesem Jahr, 2017, entstand die Acryl-auf-Leinwand-Bild-Folge BLAU ist die Farbe der Erinnerung. - Kommt da nicht etwas Hoffnungsvolles, Vertrauendes – vielleicht sogar etwas Versöhnliches in ihr Werk? Mit diesem Blau ?

Ernst Jünger schrieb:
„In dieser Farbe deuten sich die beiden Flügel des Geistes an: das Wunderbare und das Nichts. Sie ist der Spiegel der geheimnisvollen Tiefen und der unendlichen Entfernung. So ist uns das Blau v.a. als die Himmelsfarbe vertraut.
Blau ist die Farbe der äußersten Orte und der letzten Grade, die dem Leben verschlossen sind. Sie nähert sich dem Ruhenden und weicht vor dem Bewegten zurück.“

So tastet sich Ju Sobings Blau an ein Haus heran, an eine Fassade mit blinden Fenstern und verschlossener Tür. Doch es gelingt ihm - es gelingt dem Blau, einzudringen, Räume und Gänge zu durchforsten und darin Räume und Gänge auszumachen, wie sie nicht nur dieses eine, bestimmte Haus beherbergt, sondern wie sie Häuser schlechthin charakterisieren; - Häuser für Dich und für mich, Häuser für polnisch oder deutsch oder wie auch immer sprechende Bewohner.

Kunst hilft, so glaubt Ju Sobing, über sinnbildliche Formulierungen zu artikulieren, was so schwer auszusprechen ist: Die Erinnerungen an Verlorenes, denen sich früher oder später jeder Mensch in irgendeiner Form zu stellen hat.

Dabei waren für die Künstlerin meist reale Objekte Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen, mit denen sie sich lange beschäftigte, sowohl im Kopf als auch artifiziell, über Jahre hin.
Das ist jener Prozess, während dem die Dinge künstlerisch mehr und mehr vereinfacht wurden, verallgemeinert, bis hin zum Zeichenhaften. Und diese Zeichen setzte sie immer offener und gewann dabei, einerseits selbst mehr Abstand und Klarheit, wie sie andererseits ähnlich Betroffene etwas von der heilsamen Kraft des Erinnerns partizipieren lassen konnte:
„Suche nach dem endgültigen Zeichen für das Leben,“ notierte sie, weil ihr zugleich bewusst war, dass sie an Sinnfragen des Lebens rührte, die nie erschöpfend zu beantworten sind: „Immer schieben sich die Bilder übereinander. Das was Du siehst, ist nicht das, was Du vor Augen hast. Wir bringen unsere inneren Bilder mit, SIE prägen die äußeren. Es gibt keine Linearität der Zeit.“
Und weiter unten:
„Wir sind das Damals nicht minder als das Heute.“

Schauen wir auf die Entstehungszeit der Arbeiten dieser Ausstellung, sind da zuerst (vom Februar 2001) die „Schattenworte“, die, oft gehört, lange nachklingend, aus dem Sinnzusammenhang des Lebens und ihrer kommunikativen Notwendigkeit gerissen, unweigerlich aber doch irgendwann beginnen, langsam zu verklingen und schließlich verlöschen.
Und wie mit den Worten, ist es mit den lange vertrauten Gesten, Abläufen, den Wegen und mit den Dingen.

Ju Sobing, ich deutete es schon an, hüllte ihre Trauer gern in Weiß, denn weiß ist (in China zB) die Farbe der Trauer:
„Eine stille Farbe“, sagt sie: „Trauer ist stille. Sie verbirgt sich. Sie tritt nicht an die Öffentlichkeit. Und das Weiß ist wie ein Schleier, hinter dem sie atmen kann.“
So übermalte sie die noch einmal geschriebenen, verlöschenden Worte weiß, gab ihnen aber Raum, auszuatmen.
Druckte die erinnerten, verblassenden Gesten und Zeichen (weiß auf Schwarz) als lauter kleine, zusammenhanglose Monotypien, die doch irgendwie zusammen hängen und ein Ganzes ergaben.

2010 schließlich schrieb sie – exzessiv, möchte ich sagen - die Tagebücher ihrer Mutter ab: wörtlich, per Hand in Tusche, auf grundierte Leinwand, in langen Bahnen von 215 x 89 cm.
Doch ging es ihr nicht darum, die intimen, vielleicht in ihrer Alltäglichkeit gar banalen Details, dieses sicher nicht einfachen Lebens öffentlich zu machen, sondern um das unfassbare Phänomen der Vergänglichkeit selbst eines lebenslänglichen, menschlichen Strebens.
Indem sie die Leinwände Zeile für Zeile mehrfach, wieder und wieder überschrieb, löschte sie die einzelnen Worte aus: die Episoden, die sie erzählten, und so machte sie letztlich diese eine, selbst reflektierte Lebenserinnerung ihrer Mutter austauschbar – und doch zugleich zum Sinnbild ungezählter, unreflektiert vergangener Leben von Müttern – seien´s die Mütter dieser, in den Stürmen des 20. Jh.s besonders geprüften Generation, oder seien´s die Mütter dieser Erde.

Dass Ju Sobing im Jahr 2008 von der Kulturstiftung Sachsen für Literatur im Gerhart-Hauptmann-Haus Agnetendorf/Polen ein mehrmonatiges Stipendium antreten konnte, in Agnetendorf, das gar nicht weit von Brückenberg entfernt liegt, bot ihr noch einmal eine länger währende intensive Zeit für die Auseinandersetzung mit der als heimatlich betrachteten Landschaft.
„Ich hatte die Chance, für einige Wochen ganz in der Nähe meines Geburtsortes zu leben, meine ,Heimat` zu erwandern, ihr nahe zu kommen. Daraus ergab sich über die Jahre eine immer engere Verbindung zu dem Land, das einmal meine Heimat war.“

Wie diese vielen kurzen Notizen schrieb sie verschiedene, oft unter die Haut gehenden Essays zum Thema „Heimat – ein Schicksal?“
Es entstanden auch Übersetzungen einiger Gedichte, woraus wiederum ein schmaler Band wurde.
Und es ergab sich eine Ausstellung – zunächst im Gerhard-Hauptmann-Museum in Agnetendorf, dann in Breslau/Wroclaw und nun hier im Kraszewski-Museum.

„Die Trauer über den zunehmenden Verfall des Elternhauses“, schrieb sie an anderer Stelle, „führte mich zu einer Reihe von Arbeiten, in denen es zunächst um dieses eine Haus ging;
mit der Zeit verallgemeinerte sich das Thema, von dem einen Haus zu dem, was „Haus“ ist, sein kann… für uns Menschen.
…ein neuer Faden hin und her, Begegnung ist möglich, Türen haben sich geöffnet…“
Und BLAU zog als Farbe in ihre Bilder ein.

Dass sich auch all die anderen Arbeiten hier dem Themenkreis zum Titel der Ausstellung eingliedern, versteht sich von selbst.
Dass sie dafür immer wieder überraschende, unkonventionelle Lösungen findet - dafür ist Ju Sobing bekannt:
„Die Möglichkeit vorübergehend beheimatet zu sein“, von 2005, inform von acht mit Filzstift/Tusche skizzenhaft beschriebenen Blättern, die wie strategische Gebietskarten anmuten, oder aber „Die gesammelten Jahre“, 2009 und 2011, entstanden jeweils in den Folgejahren 2010 und 2012, als Materialcollagen mit Acryl auf Holz, wie auch die auf Holztafeln als Triptychon zusammengefassten Seidenpapiercollagen „Meines Vaters dunkles Gewand“ von 2013, die den Schatten des Vaters, schwarz vor glutrotem Grund oder rot vor schwarz, an einen Ort bannten.
Schließlich widmete sie sich auch der in ihrem Herzen schwingenden Gebirgslandschaft in einer übermalten Collage-Mischtechnik.

Ich bin sehr nachdenklich von meinem ersten Besuch dieser Ausstellung gekommen und nehme an, Ihnen geht es vielleicht ähnlich…
Dr. Jördis Lademann 


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