Über das Buch von Ju Sobing: „Tagwind und Nachtgestöber“

Der Text ist wie ein ruhiger aber kraftvoller Fluss. Am Anfang steigt man hinein und der Textsog ist so stark, dass man erst am Ende wieder hinausfindet.
Und wie dann dieser Wort-Sprach-Fluss plötzlich eine Seite lang in einzelne Wörter tröpfelt – (Seite 84) bis ins Schweigen – dann Stille. Man denkt es ist am Ende – aber auf der nächsten Seite beginnt es wieder zu fließen.
Berührend – irritierend die Brüche von einfachen und klaren Naturbeschreibungen, - beobachtungen nahtlos von einem Wort zum anderen zu Krieg und Gewalt.
Dann bricht gewaltsam Stille ein.
Und immer wieder biographische Schilderungen, philosophische Gedanken, das Alltägliche alles in einer Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit. Da ist die Zeit nicht linear, nur das Lesen selbst.
Der ganze Text hat eine große Tiefe, aber auch eine gewisse Melancholie und Schwere.
Besonders diese starke, manchmal schmerzhafte Sehnsucht nach Heimat, wurzeln.
Gebundenheit, Suche.
Natur ist sicherlich immer auch persönliche wie auch menschlich-existenzielle Heimat.
„Der Wqld  sieht mir nach“ – aus der Natur kommt uns etwas entgegen, was uns empfängt.
Vielleicht gibt es so etwas wie Ankommen nur im Inneren Menschen, dieses Gefühl von Verbundenheit: re-ligio – Rück-verbindung.
Da verbindet sich die äußere Suche nach Heimat mit der inneren Suche. „nur vorübergehend beihmatet“   – dieses Vorübergehende ist, denke ich, ein Grundzug unserer Existenz, der Schmerz der Vergänglichkeit, Zeitlichkeit.
  Immer wieder Stationen bei unserem unterwegs –sein, Momente des Da-seins und ein wirkliches Ankommen vielleicht im Tod des Ich – so sagen es die spirituellen Lehren.
Und dann: “Eine Wahrheit ist immer nur für einen Menschen“,, gedankliche Einsamkeit oder zumindest ein Alleinsein. „Es bleibt immer Distanz“, aber für Augenblicke können wir überwinden: Momente des Glücks.
Berührend, wie Ju Sobing die Sprachlosigkeit über die Gräuel und Schrecken, die Menschen einander antun, in Sprache, Worte formt.
„Gibt es das absolute Zeichen in der Kunst? Was kann das sein, was sollte es sein? Indem ich Kunst mache weise ich in negativer Form auf Natur hin. Kunst muss gut zu denken sein, nicht gut anzusehen. Aber damit der Mensch durch Kunst anfängt zu denken, muss sie ihn sinnlich erfassen, berühren“.
Immer wieder taucht das All-Tägliche auf in seiner Essenz als: „Jeder Tag ist ein Widerspruch“, „Kein Tag steht für sich allein“,  Jeder Tag ist wie er ist – das ist dann das Annehmen der Realität. Es ist wie es ist, sagt die Liebe, sagt Erich Fried.
Ist die Melancholie, die Trauer ein Antrieb – sicherlich, im Schmerz sind wir berührt, es fordert uns schmerzlich auf zur Suche.
Spur – das taucht auch immer wieder auf in Ju Sobings Text, auch in ihren Gedichten. Wo wir Spuren hinterlassen werden wir sichtbar. Wünschen wir eine Spur, die noch nicht verweht ist, wenn wir schon verweht sind? Suchen wir in der Spur, die wir hinterlassen, unseren eigenen Weg, versuchen wir uns darin unserer selbst zu vergewissern?
„Die Liebe setzt da ein wo wir ins schwimmen geraten, wo das Land zu Ende ist, auf dem wir stehen“ – auch einer ihrer wunderbaren Sätze. Welch ein Widerspruch ist diese Wahrheit – eine Wahrheit, die doch nicht nur die eines Menschen ist. Ist die „wahre Wahrheit“ nicht gerade die, die über das persönliche hinaus ragt. Ist es nicht die, die Kunst entstehen lässt, wenn sie durch ein Werk hindurch scheint?
Wir suchen ständig festen Grund, und erst wenn wir ihn aufgeben, finden wir ihn – grundlos.

Werner Henkel


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